SCHIENE

Bundesweite Premiere: Flüchtlinge zu Lokführern

Schienen (Bild: stock.adobe.com/ Nadia nb)

Eisenbahnunternehmen aus Baden-Württemberg arbeiten auf Initiative des Landes zusammen für mehr Lokführer

Der Mangel an Lokomotivführer wird zunehmend offensichtlich. Personalmangel könnte den Ausbau des Schienenverkehrs bremsen. Deshalb hat das Verkehrsministerium einen unkonventionellen Weg beschritten. Zum ersten Mal werden in einer konzertierten Aktion in Baden-Württemberg über 20 Flüchtlinge zu Triebwagenführerinnen und -führern qualifiziert. Auch im nächsten Jahr sollen weitere Geflüchtete eine berufliche Chance bei den Eisenbahnunternehmen bekommen. Landesverkehrsminister Winfried Hermann hatte im Frühjahr 2019 die Initiative gestartet und alle relevanten Eisenbahnunternehmen beteiligen sich daran. Das Projekt wird von der Bundesagentur für Arbeit gefördert. „Es freut mich, dass die Unternehmen meine Idee aufgegriffen haben und an einem Strang ziehen. Es werden dringend zuverlässige Lokführer gebraucht, um die Stabilität des Fahrbetriebs zu gewährleisten. Gleichzeitig leisten die Verkehrsunternehmen auch einen wichtigen Beitrag zur Integration von Migrantinnen und Migranten in Deutschland“, kommentiert Verkehrsminister Winfried Herrmann. 

Bereits erste Flüchtlinge in der Ausbildung

Die Bahnunternehmen haben sich zu drei regionalen Clustern zusammengeschlossen, um gemeinsam Flüchtlinge für die anspruchsvolle Tätigkeit zu rekrutieren. Das Interesse ist groß, weit über 200 Bewerbungen sind seit Frühjahr eingegangen. Wichtigste Hürde ist allerdings der Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse, die neben einem psychologischen Test und technischer Kenntnisse sowie eines anerkannten Schulabschlusses Voraussetzung für ein Bewerbungsgespräch sind. Bereit ein Flüchtling wird derzeit bei der S-Bahn in Stuttgart ausgebildet, die die Deutsche Bahn betreibt. Hier werden nach einem Job-Informationstag im Juli in diesen Tagen Bewerbungsgespräche geführt. Im August wird ein weiterer Recruiting-Tag stattfinden. Ziel ist es Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, die den hohen Anforderungen des Berufes entsprechen und sie bis zum Start der Ausbildung am Ende des Jahres durch Sprachkurse oder Kompetenztrainings weiter zu stärken.

Hohes Interesse

Fest steht bereits, dass in Karlsruhe ab Oktober 15 Geflüchtete ihre Ausbildung beginnen werden. „Wir haben in den vergangenen Monaten große Fortschritte bei diesem Projekt gemacht. In unserer Projektgruppe für den Raum Karlsruhe/Mannheim konnten wir mittels intensiver Rekrutierungsmaßnahmen die stolze Zahl von mehr als 100 Bewerbern verzeichnen. Hiervon wollen wir für unsere Regionalgruppe nun bis zu 15 Personen zum Triebfahrzeugführer qualifizieren“, erklärt Stephanie Schulze, Personalchefin der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) und Leiterin der Projektgruppe. Sie lobt die gute Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsunternehmen AVG, Go Ahead, Abellio und der MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft, sowie der Bundesagentur für Arbeit und dem Landesverkehrsministerium. „Das zeigt, wie wichtig allen Partnern dieses Thema ist und dass alle an den Erfolg dieses gemeinsamen Projekts glauben. Natürlich ist die Integration von Geflüchteten in den heimischen Arbeitsmarkt eine große Herausforderung, aber gleichzeitig auch ein entscheidender Baustein für die erfolgreiche Integration dieser Menschen in unsere Gesellschaft. Gerade als kommunales Verkehrsunternehmen wollen wir dieser gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden“, so Schulze.

„Erfreulicherweise erhalten wir regen Zuspruch von geflüchteten Menschen, die sich für die Qualifizierung zum Lokführer interessieren. Die Sprachkenntnisse sind gut und unserer Einschätzung nach ausreichend für die doch sehr anspruchsvolle Ausbildung zum Lokführer. Wir als MEV freuen uns auf dieses Pilotprojekt und gehen davon aus, ein Puzzleteil für die Recruitierung von Fachkräften für unsere Branche gefunden zu haben“, ergänzt Simone Krämer, Personalchefin beim MEV.

„Diversität ist für uns kein Modewort, sondern als Unternehmen ein ganz wichtiges Organisationsprinzip, denn nur aus Vielfalt entsteht Fortschritt. Zudem glauben wir fest daran, dass wir gemeinsam alles dafür tun müssen, mehr Menschen für den Nahverkehr und den Beruf des Triebfahrzeugführers zu interessieren. Diesen tollen Beruf so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen und sie für eine Zukunft auf der Schiene zu begeistern ist eine tolle Initiative, die wir vollumfänglich unterstützen“, sagt Hans-Peter Sienknecht, Geschäftsleiter von Go-Ahead Baden-Württemberg.

„Abellio setzt sich seit Langem für eine weltoffene Gesellschaft ein und geht dabei in der eigenen Belegschaft mit gutem Beispiel voran. Wir unterstützen die Integration geflüchteter Menschen in den Arbeitsmarkt der Bahnbranche und bieten bereits vielen geflüchteten Menschen eine berufliche Perspektive in unserem Unternehmen. Daher freuen wir uns, teil der Landesinitiative zu sein und unterstützen diese nach Kräften“, so Dr. Roman Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung der Abellio Rail Baden-Württemberg GmbH. Abellio wird im Rahmen des Modellprojektes „Flüchtlinge als Lokführer“, gemeinsam mit GoAhead, der AVG und der MEV, im Oktober 2019 einen Qualifizierungskurs mit maximal 15 Teilnehmern in Karlsruhe starten. Abellio plant die Qualifizierung von drei Kandidaten zu fördern und diese nach der Weiterbildung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Momentan befinden wir uns noch in der Rekrutierungsphase für diesen Kurs.“

„Die Deutsche Bahn steht für gelebte Integration, wir beschäftigen allein in Deutschland Mitarbeiter aus über 100 Nationen. Es ist wichtig, Menschen, die aus Ihrer Heimat flüchten mussten, hier eine neue berufliche Perspektive zu bieten“, sagt David Weltzien, Vorsitzender der Regionalleitung der DB Regio Baden-Württemberg. „Mit unserem Chance Plus Programm etwa bieten wir schon seit längerem benachteiligten Menschen die Möglichkeit, sich auf eine Ausbildung bei der DB vorzubereiten, denn der Zugang zu Bildung ist ein wichtiger Schritt, soziale und berufliche Integration zu fördern. Daher unterstützen wir auch die Initiative des Landes. Wichtig ist dabei vor allem die sprachliche Ausbildung, denn die Beherrschung der deutschen Sprache ist für den Beruf des Triebfahrzeugführers unerlässlich“, so Weltzien weiter. 

Die landeseigene SWEG steht mit Flüchtlingen in Kontakt, die die Triebfahrzeugführer-Ausbildung beginnen möchten und die sowohl die geforderten Deutschkenntnisse (mindestens Niveau B2) als auch einen erforderlichen Schulabschluss (mindestens Hauptschulabschluss) besitzen. Bislang haben die meisten Bewerber allerdings noch nicht die erforderlichen Nachweise vollständig vorgelegt. Sobald die erforderlichen Nachweise vorgelegt und die psychologisch-medizinischen Untersuchungen abgeschlossen sind, können die Bewerber ihre Ausbildung zum Triebfahrzeugführer beginnen. „Wir unterstützen das Projekt gern, um neue Zielgruppen für die Triebfahrzeugführer-Ausbildung zu erschließen und damit auch zur Integration von Flüchtlingen beizutragen“, sagt Tobias Harms, Technischer Vorstand der SWEG.  

Hintergrund

Wieso gibt es das Modellprojekt?
Bei Lokführern zeichnet sich ein großer Fachkräftemangel ab. Rund 1000 Stellen müssen in diesem Bereich in den nächsten Jahren besetzt werden. Als neue Lokführer und Lokführerinnen kommen alle technisch vorgebildeten oder interessierten Bewerber mit guten Deutschkenntnissen in Frage. Mit dem Modellprojekt „Qualifizierung Geflüchteter zu Lokführern“ soll aus der Gruppe der Geflüchteten Nachwuchs für diesen Beruf gewonnen werden. Nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit kommen aus diesem Personenkreis rund 44 000 Menschen in Frage.

Wie kam es dazu und wer steht dahinter?
An einem vom Verkehrsministerium ins Leben gerufenen runden Tisch zum Personalmangel im Regionalverkehr haben sich die Agentur für Arbeit, alle wichtigen Eisenbahnunternehmen, die Gewerkschaften und Vertreter anderer Ministerien auf das Modellprojekt „Qualifizierung Geflüchteter zu Lokführern“ verständigt.

Wer kommt für das Projekt in Frage?
Das Programm „Weiterbildung Geringqualifizierter und älterer Beschäftigter in Unternehmen“ (WeGebAU) richtet sich an alle Interessentinnen und Interessenten mit entsprechender technischer Vorbildung oder technischem Interesse, auch an deutsche Staatsbürger. Es bildet die Grundlage für das Modellprojekt „Qualifizierung Geflüchteter zu Triebfahrzeugführern“, welches speziell auf Geflüchtete ausgerichtet ist – natürlich ebenfalls mit entsprechender technischer Vorbildung oder technischem Interesse, mit geklärtem Aufenthaltsstatus und mit hinreichend guten Deutschkenntnissen. Integrationstrainer sollen zusätzlich bei sprachlichen und kulturellen Fragen helfen. Welche Voraussetzungen müssen die Bewerber mitbringen?

  • Gesicherter Aufenthaltsstatus: Verfahren muss abgeschlossen sein
  • Sprachniveau B2 oder besser
  • Anerkannter Schulabschluss
  • Gute körperliche und psychische Gesundheit: Es gibt eine medizinische Einstellungsuntersuchung
  • Ideal: Technische Vorbildung, Erfahrung im Umgang mit Maschinen. Mindestanforderung: Sehr hohes technisches Interesse
  • Hohe Lernbereitschaft und Fleiß: Es müssen zahlreiche Aspekte des Eisenbahnbetriebs in sehr kurzer Zeit gelernt werden


Wo können sich Interessenten bewerben?
Interessenten bewerben sich für das Modellprojekt direkt bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen. Diese entscheiden allein über die Einstellung und leiten die weiteren Schritte in die Wege. Auf dieser Liste sind die Kontaktadressen aufgeführt.

Wie erklärt sich der Lohnunterschied zur Ausbildung?
Das Programm „Qualifizierung Geflüchteter zu Triebfahrzeugführern“ spricht Menschen mit technischer Fortbildung/ technischem Interesse und guten Deutschkenntnissen an. Sie bringen wichtige Grundlagen für den Beruf des Lokführers mit und sollen von den Eisenbahnunternehmen während der Qualifizierungsphase neben der Weiterqualifizierungsvereinbarung einen Anstellungsvertrag als Helfer erhalten. Die Entlohnung richtet sich in diesem Fall nach der zwischen dem jeweiligen Teilnehmer und dem EVU geschlossenen Anstellungsvertrag, wobei sich die Höhe der Entlohnung aus dieser Vereinbarung ergibt. Die Höhe der Entlohnung orientiert sich daher nicht an dem Ausbildungslohn des 3. Lehrjahres, sondern an der üblichen Entlohnung eines entsprechenden Helfers (Orientierungspunkt. 2.100,00 Euro brutto).

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