Jeder vierte Baden-Württemberger fühlt sich durch Lärm belästigt. Hauptquelle ist der Straßenverkehr. Aber auch laute Nachbarn und Flugverkehr sorgen für Probleme. Die Lärmschutzbeauftragte des Landes sieht die Kommunen in der Pflicht.
Im Kampf gegen den Lärm sieht Verkehrsstaatssekretärin Gisela Splett (Grüne) bei den Kommunen dringenden Handlungsbedarf. Sie fordert die Städte und Gemeinden im Südwesten auf, Aktionspläne gegen Lärm aufzustellen. "Die Kommunen müssen sich Gedanken machen, wie sie vor Ort mit Lärmquellen und dem Schutz ruhiger Gebiete umgehen", sagte Splett anlässlich des Tages gegen Lärm am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. "Immerhin ist jeder 40. Baden-Württemberger nachts gesundheitsgefährdendem Straßenlärm ausgesetzt", machte sie deutlich.
Die Lärmkartierung aus dem Jahr 2012 zeige, dass 280 000 Menschen nachts unter Lärmpegeln von mehr als 55 Dezibel leiden. Normale Sprache in einem Meter Abstand entspricht etwa 60 Dezibel. "Nächtlicher Dauerlärm und Lärmspitzen stressen den Körper, auch wenn man nicht davon aufwacht", erläuterte Splett. Die Folge seien Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch von 507 Gemeinden mit hoher Lärmbelastung durch Hauptverkehrsstraßen hätten bislang nur 137 Aktionspläne vorgelegt. Deren Ziel ist, Lärmbelastungen und die Zahl der Betroffenen zu verringern sowie wenig lärmgepeinigte Gebiete vor zunehmender Beschallung zu schützen. Bedingung ist die Beteiligung der Öffentlichkeit.
Nach einer Studie aus dem Jahr 2004 fühlt sich ein Viertel der Bevölkerung im Südwesten durch Lärm gestört. Knapp neun Prozent davon gaben den Grad der Belästigung mit "stark" oder "äußerst stark" an. "Das hat sich bis heute vermutlich nicht wesentlich verändert", erläuterte die einzige Lärmschutzbeauftragte einer Landesregierung.
Langfristig strebt die Grünen-Politikerin einen individuellen Anspruch auf Lärmsanierung an: Mit dem Bundesverkehrsministerium sei das Land bereits in Gesprächen. Möglich sei aber auch eine Bundesratsinitiative Baden-Württembergs. Angesichts der zähen Rückmeldung der Kommunen habe die EU-Kommission ein Pilotverfahren als Vorstufe eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Baden-Württemberg gestartet, um Berichte über die Lärmaktionspläne im Südwesten zu erhalten. Das Land habe zwar gegenüber den Kommunen keine Weisungsmöglichkeit, könne diese aber mit Informationen und Veranstaltungen unterstützen, sagte Splett.
Dazu gehöre der "Kooperationserlass" vom März 2012, dem die Kommunen entnehmen können, was in Übereinkunft mit den Landratsämtern oder kreisfreien Städten bei Anti-Lärm-Maßnahmen zu beachten ist. Im Herbst 2013 habe das Ministerium einen Musterbericht vorgelegt, der vor allem kleineren Kommunen mit geringen Lärmproblemen nützlich sein könne. "Das Ausfüllen des Musters inklusive Bürgerbeteiligung kann in einfachen Fällen bereits ausreichen, um als Lärmbericht zu gelten."
Nach den Worten von Splett fühlen sich viele Kommunen hilflos, weil sie nicht Baulastträger bei Schienen, Autobahnen und Bundesstraßen sind. Allerdings sei Tempo 30 in Ortsdurchfahrten eine günstige und einfache Maßnahme, die seit dem "Kooperationserlass" deutlich häufiger ergriffen werde. Das bringe zwei bis drei Dezibel weniger Lärm - das entspreche einer Halbierung des Verkehrsaufkommens.
Dem stehe allerdings entgegen, dass die verminderte Geschwindigkeit laut Straßenverkehrsordnung nur bei einer konkreten Gefahrenlage eingeführt werden kann. Dies bedeute, dass der Lärm tagsüber bei mehr als 70 Dezibel und nachts über 60 Dezibel liegen muss. "Diese Hürden müssen abgesenkt werden", verlangt Splett. Allerdings sei eine Mehrheit im Bundesrat dafür nicht absehbar.
Auch über die Bauleitplanung können Kommunen vorbeugenden Lärmschutz betreiben. Ebenso könne die Kommune durch bauliche Maßnahmen auf Lärmprobleme reagieren, etwa mit dem Bau von Lärmschutzwänden oder lärmarmen Straßenbelägen. Als Anreize für Kommunen könne das Land seit Januar 2014 kommunale Straßenbaumaßnahmen zum Lärmschutz mit 50 Prozent kofinanzieren. Eine drei Meter hohe Lärmschutzwand kostet den Angaben nach um die 100 000 Euro pro 100 Meter.
Quelle:
dpa. Autorin: Julia Giertz