Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur hat eine Stellungnahme zur Veröffentlichung des S-21-Kommunikationsbüros über kürzere Bahnreisezeiten durch Stuttgart 21 verfasst.
1. Die Untersuchung und deren Veröffentlichung durch das Kommunikationsbüro Bahnprojekt Stuttgart – Ulm e.V. sind nicht mit der Landesregierung abgestimmt, auch wenn mit dem Landeswappen dieser Eindruck vermittelt wird. Die Mitgliedschaft des Landes im Verein Bahnprojekt Stuttgart – Ulm e.V. (Kommunikationsbüro) ruht.
2. Methodisch sind zu den vorliegenden Ergebnissen aus Sicht des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur (MVI) folgende Anmerkungen zu machen:
Der Vergleich stellt die heutigen Reisezeiten im Schienenverkehr den Reisezeiten auf Basis der geplanten Angebotskonzeption 2020 des Landes Baden-Württemberg gegenüber.
Die Angebotskonzeption 2020 unterstellt eine erhebliche Angebotsausweitung im SPNV sowie die Realisierung von verschiedensten Ausbauvorhaben, die nicht in unmittelbarem oder zwingendem Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21 stehen, beispielsweise:
a) Ausgebaute Infrastruktur
- Die Neubaustrecke Stuttgart – Ulm mit einer Fahrzeitverkürzung von 25 Minuten
- Neubaustrecke Offenburg – Basel mit einer Fahrzeitverkürzung von 22 Minuten
- Neubaustrecke Frankfurt – Mannheim mit dem (vom Land Baden-Württemberg abgelehnten) Bypass Mannheim
- Elektrifizierung und Beschleunigung der Südbahn
- Ausbau (Stuttgart –) Heilbronn - Würzburg mit Geschwindigkeitsverbesserung
- Ausbau der Gäubahn mit Rückkehr der Neigetechnik, teilweiser Wiederherstellung der Zweigleisigkeit und Geschwindigkeitsverbesserung, Fahrzeitverkürzung um 15 Min. und Erreichen aller Anschlüsse in Stuttgart
b) Angebotsausweitung
- Konsequenter Halbstundentakt bei den wichtigsten Linien von/nach Stuttgart. Heute wird dieser Halbstundentakt nur in der Hauptverkehrszeit angeboten (Tübingen, Aalen, Heilbronn)
- Neue Expresslinie Stuttgart – Ulm mit nur sehr wenigen Zwischenhalten, die Fernverkehrsgeschwindigkeit erreicht
- Ausweitung heute nur zweistündlich bestehender IRE/RE-Linien wie Stuttgart – Würzburg, Stuttgart – Karlsruhe auf einen Stundentakt, Stuttgart – Tübingen auf einen 30-Min-Takt
Der Umfang der Umsetzung ist allein abhängig von der Finanzierbarkeit und vom Land bereits von 2016 an - also unabhängig von Stuttgart 21 - geplant. Durch Taktverdichtungen ergeben sich auf vielen Relationen automatisch kürzere Umsteigezeiten und damit Fahrzeitgewinne.
Die dargestellten Fahrzeitgewinne besitzen daher keine Aussagekraft für die Beurteilung der Verkehrseffekte des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21. Sie belegen allenfalls, wie sinnvoll ein gesamthafter Ausbau des Schienenverkehrs in Baden-Württemberg ist.
3. Bei den dargestellten Verbindungen sind fast ausschließlich Relationen dargestellt, auf denen durch das Projekt Stuttgart 21 Fahrzeitgewinne entstehen. Schwerpunkt der dargestellten Relationen sind vor allem die durchgebundenen Züge sowie die Verbindungen zum Flughafen Stuttgart. Verbindungen mit Fahrzeitnachteilen, die oftmals für die Kunden viel bedeutender sind, werden bis auf wenige Ausnahmen ausgeblendet.
Hierzu drei Beispiele:
- Für die Station Mössingen (Landkreis Tübingen) sind lediglich die Verbindungen zu den Zielen Ludwigsburg, Aalen und Stuttgart-Flughafen/Messe dargestellt, die eher selten angesteuert werden. Der Fahrzeitvergleich für das ungleich wichtigere Ziel Stuttgart Hbf. fehlt hingegen; hier entstehen spürbare Verschlechterungen (längere Fahrzeit, zusätzliches Umsteigen erforderlich).
- Für die Relationen der Südbahn (Ulm – Lindau) oder auch der Brenzbahn (Ulm – Aalen) sind nur Ziele in Richtung Stuttgart dargestellt. Die genauso wichtigen Ziele Richtung Augsburg – München fehlen komplett. Hieran würde deutlich, dass das Projekt Stuttgart 21 die heute bestehenden optimalen Anschlüsse in Ulm deutlich verschlechtert. In Richtung Stuttgart wird diese Verschlechterung dank der Neubaustrecke nicht so deutlich, wenngleich die eigentlich erzielbaren Verkürzungen von 25 Minuten nur selten erreicht werden.
- Von der Gäubahn (Konstanz, Singen, Tuttlingen, Rottweil, Villingen-Schwenningen) werden nur die Ziele dargestellt, die zufällig an der durchgehenden Verbindung liegen (Flughafen, Waiblingen und Nürnberg). Gleichsam wichtige Verbindungen wie nach Heilbronn, Heidelberg oder Pforzheim werden nicht genannt.
Auf eine Reihe handwerklicher Fehler und zugunsten des Projekts nicht korrekt dargestellter Fahrzeiten wird an dieser Stelle ohne weitere Vertiefung hingewiesen.
4. Eine objektive Analyse der verkehrlichen Wirkungen des Projekts Stuttgart 21 muss zwei Bedingungen erfüllen:
- Stuttgart 21 darf nicht mit dem heutigen Zustand des Schienenverkehrs verglichen werden. Ein sinnvoller Vergleich muss sich auf den Zustand beziehen, der bei einem Verzicht auf das Projekt und bei Umsetzung alternativer Ausbaustrategien erreicht würde.
- Es dürfen für den Vergleich nicht einzelne plakative Relationen herausgegriffen werden, sondern es muss eine Gesamtschau über alle Verbindungen erfolgen. Um die Auswirkungen auf die Fahrgäste zu ermitteln, sind die Relationen zudem mit der Verkehrsnachfrage zu gewichten.
5. Eine solche Untersuchung hatte die (alte) Landesregierung bereits im Zusammenhang mit der Schlichtung im Herbst 2010 bei der Beratungsfirma SMA in Auftrag gegeben.
Diese – zunächst nicht veröffentlichte - Untersuchung kommt zu folgenden Ergebnissen:
- Im Mittel aller Verbindungen sinkt die Reisezeit durch Stuttgart 21 gegenüber heute um 5,3 Minuten, bei einer Modernisierung des Kopfbahnhofs (K21) um 4,0 Minuten.
- Werden die Verbindungen mit der Zahl der Fahrgäste gewichtet, so sinkt die Reisezeit durch Stuttgart 21 um 0,5 Minuten, bei Kopfbahnhof 21 um 0,9 Minuten.
Fazit:
Gegenüber dem Ausbau des Kopfbahnhofs schneidet Stuttgart 21 nur geringfügig besser ab, bezogen auf die tatsächlichen Fahrgastzahlen liegt der Ausbau des Kopfbahnhofs vorne.
Die SMA-Untersuchung vom November 2010 ist auf der Homepage des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur veröffentlicht: www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/103129/SMA_Reisezeiten_26_11_2010.pdf?command=downloadContent&filename=SMA_Reisezeiten_26_11_2010.pdf
Quelle:
Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg