Schiene

Minister Hermann im Interview: Neue Spielräume für die Schiene

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Überfüllte, verspätete oder ausgefallene Züge – der regionale Schienenverkehr im Südwesten verärgert immer wieder die Fahrgäste. Kritik gab es zuletzt nicht nur an der Deutschen Bahn  als Betreiberin – sondern auch an der Landesregierung, die aus Sicht der Opposition und einiger Landräte mit verantwortlich für die Misere ist. Doch der Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verwahrt sich gegen derlei Vorwürfe – und stellt zugleich erhebliche Summen für Verbesserungen zur Verfügung.  Das Interview kann im Original hier nachgelesen werden.

 

Herr Minister Hermann, die CDU und die SPD in Berlin haben ihren Koalitionsvertrag unter Dach und Fach gebracht. Es steht auch manches drin zum Thema Mobilität. Wie bewerten Sie die Ausführungen – speziell auch im Blick auf die Schiene?

Offen gestanden: ich bin positiv überrascht und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da manche Idee aus den Jamaika-Verhandlungen übernommen wurde. Mehr Geld für die Förderung von Verkehrsprojekten in den Kommunen, mehr Geld für die Elektrifizierung des Schienenverkehrs und auch das Leitmotiv – im Straßenbau, auf Erhaltung vor einem Neu- oder Ausbau zu setzen – all das sind gute Ansätze.
Das lässt ja auch für den Schienenverkehr im Südwesten hoffen, der nach wie vor alles andere als rund läuft.

Wie ist aus Ihrer Sicht der aktuelle Stand der Dinge?

Die DB Regio hat in den vergangenen Jahren teilweise miserable Leistungen abgeliefert, die den Verantwortlichen selbst peinlich waren. Vor allem auf den Strecken von und nach Stuttgart kam es zu massiven Zugausfällen und Verspätungen. Das ist inzwischen teilweise etwas besser geworden. Aber auf der Frankenbahn aus Richtung Heilbronn-Würzburg oder der Filstalbahn aus Richtung Ulm über Göppingen gibt es weiter ernsthafte Probleme. Wir werden weiter auf Besserung dringen.

Die jüngsten Erhebungen zeigen aber auch, dass nur wenige Züge in der Hauptverkehrszeit völlig ausgelastet sind. Ist das nicht ein gewisser Widerspruch?

Das ist richtig, insofern klagen die Fahrgäste bisweilen auf hohem Niveau. Wir erwarten in Deutschland quasi, dass neben uns mindestens noch ein Platz für die Aktentasche frei ist – andernfalls haben wir den Eindruck, der Zug sei überfüllt. Da empfehle ich mal Zugfahrten in London oder Paris. Insofern wehre ich mich dagegen, dass der Schienenverkehr im Land schlechter geredet wird als er ist. Dies gilt im Übrigen auch für die Pünktlichkeit. Denn wenn sie mit dem Auto unterwegs sind, wissen sie nie, wann sie ihr Ziel erreichen. Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Die Kunden und wir als Besteller der Züge erwarten von der Bahn dennoch zu Recht eine ordentliche Dienstleistung – wir bezahlen schließlich viel Geld dafür. Und da muss die DB noch deutlich nachlegen.

Was erwarten Sie denn von der Bahn?

Wir arbeiten mittlerweile mit den Bahnverantwortlichen in Baden-Württemberg konstruktiv zusammen – unter anderem etwa, wenn es darum geht, den Personalmangel bei den Lokführern zu lindern. Auf unsere Initiative hin begibt sich die Spitze des Verkehrsministeriums im März mit den Bahnvorständen auf sogenannte Pendlerfahrten, um persönliche Eindrücke zu sammeln und den Druck möglichst hoch zu halten. Also, wir sind da durchaus offensiv und kreativ.

Ist ein Kern des Problems nicht, dass es auf etlichen Strecken Mitte des nächsten Jahres einen Betreiberwechsel geben wird und statt der Bahn Abellio und Go-Ahead fahren?

Das lasse ich nicht als Ausrede gelten. Schließlich müssen Verträge stets bis zum letzten Tag eingehalten werden. Auch die Bahn selbst sieht sich übrigens in der Pflicht, wie ich weiß. Sie hat schließlich einen Ruf zu verlieren und möchte ihre Chancen bei künftigen Ausschreibungen nicht verschlechtern.

Apropos Ausschreibungen: Kritik gab es zuletzt von Landräten und der Opposition speziell an Ihnen und ihrem Ministerium. Kommt es zu den Engpässen auf der Schiene auch, weil Sie bei der Ausschreibung der Strecken falsch kalkuliert und mit zu wenigen Fahrgästen gerechnet haben?

Diese Kritik ist völlig hanebüchen. Bei den Ausschreibungen für die Bahnstrecken im Land sind wir erstens zur Wirtschaftlichkeit verpflichtet und müssen, zweitens, schauen, welche Finanzmittel wir zur Verfügung haben. Insofern gibt es da nichts zu tadeln. Fakt ist, dass sich nun – gut zwei Jahre, nachdem die Ausschreibungen gelaufen sind – neue Spielräume eröffnen. Und diese werden wir für steigende Fahrgastzahlen, Kapazitätssteigerungen und für höhere Pünktlichkeit nutzen.

Das heißt konkret?

Wir haben in den Verhandlungen mit den anderen Bundesländern und dem Bund erreicht, dass uns in den nächsten Jahren sukzessive mehr Regionalisierungsmittel zur Verfügung stehen. Diese steigen von 891 Millionen Euro im Jahr 2017 schrittweise auf 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2031. So konnten wir, wie in den Verträgen vorgesehen, alleine für die Verbindungen von und nach Stuttgart 19 zusätzliche Züge für insgesamt 115 Millionen Euro bestellen. Damit sind wir für weitere Fahrgastzuwächse in der Zukunft gut gerüstet.

Wird es denn auch künftig die beliebten Doppelstockzüge geben?

Ich mag die Doppelstockzüge auch, weil sie sehr laufruhig sind und weil man von oben einen herrlichen Blick in die Landschaft hat. Wir haben sie nicht vorgeschrieben, weil zum Zeitpunkt der Ausschreibung nur ein Fahrzeughersteller solche Fahrzeuge anbieten konnte und insofern dann kein Wettbewerb möglich gewesen wäre. Deren Nachteil ist zudem, dass die Aus- und Einstiegszeiten deutlich länger sind, was in der Hauptverkehrszeit gerne zu Verspätungen führt. Eines kann ich allerdings versprechen: dass im Land künftig topmodernes Zugmaterial unterwegs ist, und zwar im neuen Design, barrierefrei und mit deutlich mehr Platz für Kinderwagen und Fahrräder.

Weitere Informationen

Das Verkehrsministerium als zuständiger Aufgabenträger für den Regionalverkehr und DB Regio als Auftragnehmer haben für die auf Stuttgart Hbf zulaufenden Strecken Übersichten erstellt, aus denen auf einen Blick hervorgeht, wann es im Regelfall noch freie Plätze gibt. Tabellen hier einsehen und herunterladen.

Die Tabellen berücksichtigen nur die Hauptverkehrszeiten in Lastrichtung (morgens Ankünfte zwischen 6.00 Uhr und 9.00 Uhr in Stuttgart Hbf, nachmittags Abfahrten von 15.00 Uhr bis 19.00 Uhr ab Stuttgart Hbf) und sind in drei Besetzungsstufen gegliedert. Grundlage für die Einstufungen sind die Fahrgastzahlen des Jahres 2017. Schwankungen durch Reisegruppen, Großereignisse oder Störungen gibt es immer wieder, daher kann keine Gewähr dafür übernommen werden, dass in einem bestimmten Zug auch tatsächlich jeden Tag noch freie Plätze vorhanden sind. 

S-Bahnen sind nicht dargestellt, da für diese nicht das Land, sondern der Verband Region Stuttgart zuständig ist. Auch die Gäu- und die Murrbahn, also die Verbindungen von Stuttgart nach Horb – Rottweil und nach Murrhardt – Schwäbisch Hall-Hessental, fehlen noch. Hier sind zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember ganz neue Fahrplanangebote in Kraft getreten. Die Fahrgastzahlen des Vorjahres bieten daher keine Grundlage für eine verlässliche Einschätzung der Besetzung der einzelnen Züge. Tabellen für diese beiden Strecken sollen ergänzt werden, sobald belastbare Daten vorliegen.

Quelle:

Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten vom 9. Februar 2018

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