Minister Hermann: Erneuerbaren-Quote für Kraftstoffe muss auf die Agenda - zusätzlich zu ambitionierten CO2-Flottengrenzwerten
Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann hat vor einer erheblichen Klimaschutzlücke im Verkehrssektor gewarnt. „Die EU-Flottengrenzwerte für Pkw mit einer Reduzierung um 30 bis 35 Prozent sind zu schwach, um zu dem Klimaschutzziel 2030 nennenswert beizutragen. Diese Klimaschutzlücke lässt sich nicht allein durch den Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel überbrücken. Daher schlagen wir für Deutschland vor, mehr erneuerbare Energie in den Kraftstoffmix bis zum Jahr 2030 aufzunehmen. Ich halte eine Erneuerbaren-Quote hier für ein gutes und technologieneutrales Instrument“, erklärte der Minister mit Blick auf Verkehrsministerkonferenz (VMK) in Hamburg am 18. und 19. Oktober 2018 aus.
Er fügte hinzu: „Dies ist keine Alternative zur Elektromobilität oder zu anspruchsvollen CO2-Flottengrenzwerten, sondern eine zusätzliche Maßnahme für einen wirksamen Klimaschutz.“
Der Vorschlag der EU-Kommission, den auch die Bundesregierung unterstützt, sah vor, den Flottengrenzwert gegenüber 2020 um nur 30 Prozent zu senken. Nach Berechnungen des Öko-Instituts im Auftrag der Organisation Agora Verkehrswende würde dies aber lediglich zu einer CO2-Emissionsminderung von 3,5 Millionen Tonnen pro Jahr führen. Selbst die etwas ambitionierteren Vorschläge von EU-Parlament und EU-Rat einer Senkung um 35 Prozent hätten jährlich nur knapp 10 Millionen Tonnen weniger CO2 zur Folge. Erforderlich wäre es aber, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 60 bis 70 Millionen Tonnen zu verringern.
Zum Erreichen der Klimaschutzziele sind daher nach den Worten von Minister Hermann neben der massiven Förderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel und dem Abbau umweltschädlicher Subventionen auch erneuerbare Kraftstoffe notwendig.
Der Minister erläuterte: „Neben der Elektromobilität sind auch synthetische Kraftstoffe (sogenannte reFuels) eine Antwort, wenn sie mit Hilfe erneuerbarer Energien erzeugt werden. Nach derzeitigem Stand der technischen Entwicklung werden synthetische Kraftstoffe wie Wasserstoff oder Methan insbesondere im Flug- und Seeverkehr, möglicherweise auch in weiteren Verkehrs- und Transportbereichen eine tragende Rolle spielen müssen. Die Investitionen und Aktivitäten in diesen Bereich bleiben bisher leider weit hinter der erforderlichen Entwicklung zurück, obwohl im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, dass eine technologieoffene Förderung der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie (MKS) vorgesehen ist.“
Auf Ebene der Europäischen Union steht neben den CO2-Flottengrenzwerten mit der Renewable Energy Directive auch ein Instrument für Erneuerbare Energien bei Kraftstoffen („RED-Richtlinie“) zur Verfügung. Nach derzeitigem Stand wird diese Richtlinie II (RED II) nicht im erforderlichen Maße dazu beitragen, die ambitionierten Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen. Der Verkehrsminister sagte: „Deutschland hat mit der Netto-Treibhausgasquote (Netto-THG-Quote), die bereits heute im Bundesimmissionsschutzrecht angelegt ist, schon ein entsprechendes regulatorisches Instrument. Dieses sollten wir nicht nur für die Produktion abfall- und reststoffbasierter Biokraftstoffe nutzen, sondern wir sollten es für die Elektromobilität, für erneuerbaren Wasserstoff und für ReFuels öffnen.“
Der Minister unterstrich: „Baden-Württemberg investiert in den Umweltverbund wie noch nie. Der Radverkehr und der öffentliche Verkehr boomen in den Städten. Ich sage es nicht gerne, aber aktuell verfehlen wir trotzdem unsere selbst gesetzten Ziele für den Verkehrssektor deutlich auf Grund der viel zu hohen CO2-Emissionen, vor allem aus dem Straßenverkehr. Gleichzeitig mahnt der Weltklimarat in seinem neuesten Bericht, dass wir ‚schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft´ benötigen. Daher müssen wirklich alle denkbaren Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Klimaziele überhaupt noch zu erreichen.“
Ergänzende Information:
Seit der Umstellung der Biokraftstoffquote auf eine Treibhausgasminderungsquote („THG-Quote“) im Bundesimmissionsschutzrecht müssen die Emissionen verkaufter Kraftstoffe um einen bestimmten Prozentsatz gegenüber einem Referenzkraftstoff gesenkt werden. Eine Verknüpfung des Instruments mit Elektromobilität, e-Fuels bzw. reFuels oder anderen technischen THG-Minderungsoptionen kann und sollte hergestellt werden.
Im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) wurde bereits mit der 2008 beschlossenen Novelle im § 37 erstmals eine Regelung zur Dekarbonisierung des Kraftstoffsektors eingeführt. Seit 2015 wird der prozentuale Mindestanteil an Biokraftstoff nicht mehr auf die Menge, sondern auf die Minderung der THG-Emissionen bezogen: So ist die Summe der THG-Emissionen der in Verkehr gebrachten fossilen Otto- und fossilen Dieselkraftstoffe sowie der Biokraftstoffe um einen festgelegten Prozentsatz gegenüber dem Referenzwert zu senken, und zwar in steigendem Umfang. Die Regelung hat sich bewährt und ist zudem technologieneutral gestaltet. Dieser Ansatz sollte weiterentwickelt werden: Die Einsparquote sollte ab 2020 schrittweise angehoben werden. Parallel sollten die Optionen, die Quote zu erbringen, erweitert werden (z.B. E-Mobilität, Upstream-Emissionen aus der Kraftstoffgewinnung).
Im Rahmen einer vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg beauftragten Studie durch das Forschungsinstitut ifeu wurden 2017 Vorschläge zur Weiterentwicklung der THG-Quote als Instrument für den Klimaschutz entwickelt. Die Einbindung in das bestehende ordnungspolitische Instrumentarium spielt dabei eine wichtige Rolle. Ebenso wurden ökonomische Wirkungen abgeschätzt. Aktuell wird der „Beitrag strombasierter Kraftstoffe zum Erreichen ambitionierter verkehrlicher Klimaschutzziele in Baden-Württemberg“ durch ifeu und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) untersucht.
Zwischenergebnisse der laufenden Studie deuten an, dass durch einen zusätzlichen Beimischungsanteil flüssiger synthetischer Treibstoffe (power to liquid – PtL) im Kraftstoff ein relevanter Beitrag zur Minderung der THG-Emissionen des Verkehrs erreicht werden kann. Für einen entsprechenden Hochlauf sei eine politische Unterstützung erforderlich, um den Unternehmen Investitionssicherheit zu geben, während gleichzeitig ein klarer Pfad für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Kraftstoffe verfolgt werden sollte. Wesentlich erscheint dabei ein regulatorisches Umfeld, das Geschäftsmodelle ermöglicht, die große Mengen an Kapital im Milliardenbereich für eine Industrialisierung der Technologie in Gebieten mit einer hohen Stromproduktion aus erneuerbaren Energien aktivieren. Dies sei mit der RED II nicht der Fall, eine effektive Möglichkeit auf nationaler Ebene wäre aber mit einer Weiterentwickelung der THG-Quote gegeben. Da die Handlungsspielräume Baden-Württembergs zur Unterstützung des PtL-Hochlaufs begrenzt sind, seien geeignete Rahmenbedingungen auf europäischer und Bundesebene einzufordern. Zudem sei die wirtschaftliche, forschungsseitige und politische Zusammenarbeit mit PtL-produzierenden Ländern zu intensivieren.
Baden-Württemberg hat beim Strategiedialog Automobilwirtschaft BW (SDA) am 20.07.2018 mit dem Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) einen Letter of Intent für das Projekt „reFuels – Kraftstoffe neu denken“ unterzeichnet. An diesem Projekt beteiligen sich namhafte Partner aus der Automobilindustrie, Zulieferindustrie und Mineralölwirtschaft. Dabei geht es um die Bereitstellung regenerativ erzeugter Kraftstoffe vor allem für den Schwerlastverkehr und die Bewertung der Verfahren zu deren Herstellung einschließlich der Ermittlung von Effizienzpotentialen für die Herstellung und Anwendung, die Bewertung der Eigenschaften der „reFuels“, die Demonstration in der Anwendung und die Bewertung der Anwendungseigenschaften sowie die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure und die Kommunikation in die Gesellschaft.