Verkehrsminister Winfried Hermann im Interview mit dem Staatsanzeiger Baden-Württemberg zum Thema E-Mobilität
Stuttgart. Das batteriebetriebene Auto wird die nächste Stufe bei der Elektrifizierung des Verkehrs sein. Davon ist Verkehrsminister Winfried Hermann nach seiner Rückkehr von einer internationalen Fachtagung zu Elektromobilität in Lyon überzeugt. In der Zukunft werden auch Brennstoffzelle und synthetische Kraftstoffe eine Rolle spielen.
Staatsanzeiger: Sie sind in Lyon in einem autonomen elektrischen Shuttlebus mitgefahren. Der Hersteller kam ursprünglich aus dem Bereich der Videospiele. Was bedeutet das für die traditionelle Automobilindustrie?
Winfried Hermann: Zunächst ist das eine starke Ansage, dass andere so etwas ziemlich schnell hinbekommen. Während wir noch überlegen und verschiedene Dinge ausprobieren, machen die einfach. Dieses Startup-Unternehmen ist in ganz kurzer Zeit auf 300 Mitarbeiter angewachsen und hat weltweit schon rund 200 Fahrzeuge verkauft, die alle schon in der Realität fahren.
Staatsanzeiger: Was machen die anders?
Winfried Hermann: Das Kluge an dem Konzept ist, dass sie nicht den Anspruch haben, dass diese Fahrzeuge für alle Einsatzbereiche schon alles perfekt können, sondern dass Fahrzeuge für eine bestimmte Nutzung und Verkehrssituation geplant und programmiert werden. In diesem Rahmen wird das Fahrzeug dann auch eingesetzt und lernt fahrend dazu.
Staatsanzeiger: Baden-Württemberg ist mit Blick auf Arbeitsplätze stark von der Autoindustrie abhängig. Sind wir zu gründlich und wollen es zu gut machen?
Winfried Hermann: Tatsächlich scheint es so, als wären wir zu gründlich und zu grundsätzlich, bevor wir anfangen. Die großen Unternehmen fangen halt erst an, wenn sie sich ein großes Geschäft versprechen. Startups starten früher. Wir bräuchten mehr solche kleineren und innovativen Neugründungen – oder die Großen müssten so etwas unter ihrem Dach ermöglichen und nicht immer gleich in 100 000er-Stückzahlen rechnen. Innovation beginnt klein. Wenn das verstärkt gemacht wird, dann habe ich auch keine Sorge um die Arbeitsplätze. Es ist ja nicht so, dass wir das nicht können. Vielmehr machen Unternehmen oft nicht, was sie eigentlich können, weil es nicht gleich ein gutes Geschäft ist.
Der Verkehr ist einer der Hauptverursacher für den Klimawandel. In Baden-Württemberg ist der CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich gestiegen. Schaut man sich den Pro-Kopf-Ausstoß an, so liegt er auf dem Niveau von 1990. Es scheint also nichts passiert zu sein.
Es ist bitter, dass wir so viel unternommen haben zur Förderung von E-Mobilität des öffentlichen Nahverkehrs, des Radverkehrs und gleichzeitig der CO2- Ausstoß noch gestiegen ist. Die technischen Fortschritte im Automobilbereich wurden quasi durch die höheren PS- Zahlen und die schwereren Autos wieder verspielt.
Staatsanzeiger: Was bedeutet das für die Zukunft?
Winfried Hermann: Die EU hat ja neue Flottengrenzwerte für 2025 und 2030 festgelegt. Und die sind so ambitioniert, dass die nicht mehr mit Verbrennungsmotoren zu schaffen sind, wenn man nicht zusätzlich einen großen Anteil von Elektrofahrzeugen auf den Markt bringt. Tut man das nicht, werden sehr hohe Strafzahlungen fällig. Deshalb und aufgrund großer Investitionen werden die Automobilhersteller sicher in den nächsten Jahren viel tun, damit die E-Autos preisgünstiger und auch verkauft werden.
Staatsanzeiger: Sie wollen, dass bis 2030 jedes dritte Auto in Baden-Württemberg klimaneutral fährt. Wie realistisch ist dieses Ziel über batterieelektrische Fahrzeuge zu erreichen?
Winfried Hermann: Das ist sehr wahrscheinlich. Klar ist, dass wir für den massiven Ausbau der Elektromobilität deutlich mehr Ladesäulen als heute und auch den Netzausbau brauchen.
Staatsanzeiger: Kann die Lösung lauten, dass wir überall Steckdosen und Ladesäulen aufstellen? Viele Leute besitzen keine Garage. Wäre da nicht gerade auch im Individualverkehr die Brennstoffzelle nicht sinnvoller, bei der man ja auch das normale Tankstellensystem beibehalten könnte?
Winfried Hermann: Ja und nein. Ja, insofern, dass man Wasserstoff einfacher und schneller tanken kann. Aber Wasserstofffahrzeuge sind im Moment noch sehr teuer und die Tankstellen auch, daher gibt es nur wenige. Deshalb sind sie derzeit keine wettbewerbsfähige Alternative. Vielleicht in zehn Jahren. Die batterieelektrischen Fahrzeuge sind schon weiter und die Ladeinfrastruktur ist leichter aufzubauen, weil die überall vorhanden ist. Strom gibt es in jedem Haus, an jeder Laterne. Das lässt sich nutzen. Die nächste Stufe der Elektrifizierung wird auf jeden Fall batterieelektrisch sein. Und die Brennstoffzelle wird eher für Fahrzeuge, die lange Strecken fahren, gut sein. Nicht in den nächsten zwei Jahren, aber möglicherweise in zehn Jahren wird es auch die synthetischen Kraftstoffe auf regenerativer Basis geben. Da sind allerdings noch viele Investitionen notwendig.
Staatsanzeiger: Sie sagen immer wieder, Mobilität der Zukunft muss vernetzter werden.
Winfried Hermann: Wenn wir nur den Motor in den Fahrzeugen austauschen und weiterhin überall mit dem Auto hinfahren, dann wird das nichts mit der Verkehrswende. Wir müssen das Umsteigen und Vernetzen der Verkehrsmittel selbstverständlicher ermöglichen und das einladend machen. Die Politik muss gute Rahmenbedingungen setzen, und beispielsweise für sichere Rad- und Fußwege und guten ÖPNV sorgen. Aber die Menschen müssen sich auch umstellen und umdenken.
Staatsanzeiger: Der Mensch ist bequem. Wie wollen Sie die Menschen von einer anderen Mobilität überzeugen?
Winfried Hermann: Es gibt ja Beispiele, wo es gelungen ist, dass mehr Menschen umsteigen. Dazu gehören ein gutes ÖPNV-Angebot und ein guter Tarif. Beides haben wir jetzt zunehmend in Baden-Württemberg und vor allem auch in den Ballungsräumen. Die ÖPNV-Angebote sind oft besser als die Autofahrer glauben. Ich kann nur sagen: Einsteigen, ausprobieren.
Quelle:
Staatsanzeiger Baden-Württemberg