Mit der ÖPNV-Strategie 2030 haben wir einen konkreten Fahrplan für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bis 2030. Insgesamt 130 Maßnahmen in fünf Schwerpunktthemen sollen die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln.
Beinahe pünktlich zum ersten Geburtstag der grün-schwarzen Landesregierung ist die ÖPNV-Strategie als konkrete Umsetzung der im Koalitionsvertrag verankerten Offensive für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) unter Dach und Fach. Am Dienstag, 10. Mai 2022, hat das Kabinett nach Abschluss der Anhörung grünes Licht für die strategisch-konzeptionelle Grundlage zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs bis 2030 gegeben.
„Damit hat die Landesregierung das aus Gründen des Klimaschutzes so wichtige Ziel, die ÖPNV-Fahrgäste bis 2030 zu verdoppeln, fest verankert und den Weg skizziert, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Jetzt geht es an die Umsetzung“, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an die Sitzung des Ministerrats.
Zentraler Baustein der Verkehrswende
Die ÖPNV-Strategie sei unter umfangreicher Beteiligung erarbeitet worden. Ein großer Dank gebühre insbesondere den Stadt- und Landkreisen als ÖPNV-Aufgabenträger sowie den Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbünden, Fahrgastverbänden, Gewerkschaften und der Wissenschaft für deren Engagement. „Besonders erfreulich ist der breite Konsens über das Ziel und die Maßnahmen, denn die Verdopplung der Fahrgastzahlen werden wir nur als gemeinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten erreichen können“, erklärte Kretschmann.
Verkehrsminister Winfried Hermann sagte: „Der Beschluss der ÖPNV-Strategie ist von zentraler Bedeutung für die Verkehrswende im Land. Um Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, ist wahrscheinlich sogar eine noch deutlichere Steigerung nötig. Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass die Netto-Null-Emissionen im Sinne des 1,5-Grad-Ziels bis spätestens 2040 erreicht sein sollen. Deswegen müssen wir jetzt konsequent und gemeinsam die Maßnahmen der ÖPNV-Strategie umsetzen.“
Fünf Schwerpunktthemen als zentrale Ziele.
Der ÖPNV soll ausgebaut und zuverlässiger werden. Vorgesehen ist auch, eine neue Mobilitätskultur zu entwickeln. Die Tarife sollen einfach, verständlich und fair sein. Insbesondere Busverkehre sollen durch Vorrangschaltung an Ampeln und eigene Spuren beschleunigt werden. Die fünf Schwerpunktthemen sollen den jeweils zuständigen Akteuren – also Land, Aufgabenträgern, Kommunen, Verkehrsverbünden, Verkehrsunternehmen sowie weiteren Akteuren vor Ort – die Priorisierung der jeweils erforderlichen Maßnahmenbündel erleichtern.
In zehn zentralen Handlungsfeldern umfasst die Strategie konkrete Teilziele und mehr als 130 Maßnahmen zur Stärkung des öffentlichen Verkehrs. Die zehn Handlungsfelder umfassen: Leistungsangebot, vernetzte Mobilität, Vorrang für den ÖPNV, Infrastruktur, Betrieb, Qualität und Fahrzeuge, Tarif und Vertrieb, Kommunikation und Mobilitätskultur, Rechts- und Finanzierungsrahmen, Organisation und Strukturen, Monitoring und Evaluation. Sie benennt zudem die zuständigen Akteure sowie die Zieljahre, bis wann die Maßnahmen umgesetzt sein sollen.
Bund muss seinen Anteil an Finanzierung leisten
Unstrittig sei, dass der ambitionierte Ausbau des öffentlichen Verkehrs eine grundlegend verbesserte finanzielle Ausstattung erfordere, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Daher habe sich die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, sich mit zusätzlichen Landesmitteln an der Finanzierung der ÖPNV-Offensive zu beteiligen.
Er sehe jedoch neben dem Land und den Stadt- und Landkreisen als ÖPNV-Aufgabenträger auch den Bund in der Pflicht. „Ich begrüße sehr, dass sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag auf eine Verbesserung von Attraktivität und Kapazitäten des ÖPNV sowie eine deutliche Steigerung der Fahrgastzahlen des öffentlichen Verkehrs verständigt hat. Jetzt müssen allerdings Taten folgen.“
Verkehrsminister Winfried Hermann erläuterte, dass sich das Land daher seit geraumer Zeit gegenüber dem Bund für eine deutliche Erhöhung der Regionalisierungsmittel einsetze. So unterstütze das Land die Forderung der Verkehrsministerkonferenz gegenüber dem Bund, die Regionalisierungsmittel zur Erreichung der Klimaziele um zusätzlich mindestens 1,5 Milliarden Euro gegenüber dem jeweiligen Vorjahr zu erhöhen.
Zusätzlicher Beitrag der Kommunen erforderlich
„Ergänzend wird ein zusätzlicher Beitrag der kommunalen Aufgabenträger für die Finanzierung der ÖPNV-Offensive notwendig sein. Auch ist in der ÖPNV-Strategie verankert, dass das Land den Kommunen die Einführung des Mobilitätspasses als neues Finanzierungsinstrument landesgesetzlich ermöglichen wird.
Damit sollen die Kommunen zusätzliche Einnahmen für den Ausbau des Nahverkehrs oder für Tarifmaßnahmen generieren können“, so Minister Hermann. Für die Mobilitätsgarantie im ÖPNV werden aktuell die Kosten, die Mindestbedienstandards und die Finanzierung gemeinsam mit den Kommunalen Landesverbänden und ausgewählten Modellkommunen ermittelt und diskutiert. Details sollen im Sommer 2022 vorliegen.
Die fünf Schwerpunktthemen der ÖPNV-Strategie 2030
Ein zentraler Hebel für einen starken ÖPNV besteht in einem deutlich dichteren Fahrplanangebot. Das zeigen Vergleiche mit vorbildlichen Regionen in der Schweiz oder in Vorarlberg eindrucksvoll – sowohl in städtischen als auch in ländlichen Räumen.
Mit einem durchgehend dichten Fahrplanangebot – auch in den Randzeiten und am Wochenende – soll der ÖPNV eine echte Alternative zum Auto darstellen. Dafür sollen auch flexible Bedienformen zu Zeiten und in Räumen mit schwacher Nachfrage eine wichtige ergänzende Rolle spielen.
Deswegen ist die Mobilitätsgarantie in der ÖPNV-Strategie verankert: Alle Ortschaften sollen von 5 bis 24 Uhr mindestens alle 15 Minuten in städtischen und alle 30 Minuten in ländlichen Räumen mit dem ÖPNV angebunden sein. Von diesem dichteren ÖPNV-Angebot profitieren die Bewohnerinnen und Bewohner in der Stadt wie auf dem Land, denn sie können dann sicher sein, dass sie mit Bus und Bahn verlässlich angebunden sind.
Ein weiterer Schlüssel für einen attraktiven ÖPNV ist die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems ÖPNV: Die Fahrgäste sollen sich darauf verlassen können, dass sie pünktlich und wie geplant am Zielort ankommen und auch Umsteigeverbindungen sicher funktionieren.
Vor Abreise und während der Fahrt Echtzeitinformationen abzurufen, soll dabei für Verkehrsbetreiber wie auch für Reisende eine Selbstverständlichkeit sein. Das soll erreicht werden durch den weiteren Ausbau und die Modernisierung der Infrastruktur, vor allem der Schiene, die stärkere digitale Vernetzung und Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer.
Die Reisezeit ist ein entscheidender Faktor bei der Wahl des jeweiligen Verkehrsmittels. Die Verkürzung der Reisezeiten im ÖPNV ist daher ein weiteres Schwerpunktthema der ÖPNV-Strategie. Von einem gut ausgebauten ÖPNV-Gesamtsystem profitieren alle Fahrgäste dann am meisten, wenn eine hohe Taktdichte und ein pünktliches Ankommen und Abfahren an den Haltestellen gewährleistet ist. Gerade in Städten gibt es hier aber noch deutliches Verbesserungspotenzial: Hier teilen sich Autos, Fahrräder, Busse und Straßenbahnen oft als Konkurrenten den knappen öffentlichen Raum.
Damit der ÖPNV künftig auch hier schneller ans Ziel kommt, braucht es zum Beispiel spezielle Ampelschaltungen, die Busse und Bahnen schneller ab- oder durchfahren lassen, aber auch eine Neuaufteilung des Straßenraums, um eigene Bus- oder Umweltspuren sowie Straßenbahntrassen zu ermöglichen.
Einfach einsteigen und losfahren – das wollen die ÖPNV-Kundinnen und Kunden. Künftig sollten sie sich daher vor Fahrtantritt nicht mehr mit komplexen Tarifsystemen, Bezahlungsoptionen und Ticketsortimenten auseinandersetzen müssen. Vielmehr werden attraktive Abos oder flexible digitale Tarifoptionen die Nutzung des ÖPNV auch für Gelegenheitsfahrende spürbar erleichtern und damit die Zugangsschwelle zu Bussen und Bahnen reduzieren.
Das Preis-Leistungs-Verhältnis soll dabei gegenüber heute noch einmal verbessert werden, vorrangig durch den deutlichen Ausbau des Angebots und Beibehaltung eines attraktiven Preisniveaus.
Damit für den Klimaschutz eine nachhaltige Veränderung des Mobilitätsverhaltens erreicht werden kann, ist die Entwicklung einer positiven ÖPNV-Kultur in Baden-Württemberg ein weiteres Schwerpunktthema. Gerade der Imageverlust des ÖPNV während der Corona-Pandemie erfordert eine deutliche Intensivierung einer professionellen Kommunikation und eines emotionalen Marketings für eine positive ÖPNV-Kultur.
Die Kundinnen und Kunden sollen bei der Nutzung von Bus und Bahn Komfort und eine hohe Qualität im wahrsten Sinne des Wortes „er-fahren“ können, sei es durch moderne barrierefreie Fahrzeuge, ansprechende Stationen und Haltestellen oder einen hohen Sicherheitsstandard. So bildet der ÖPNV das Herzstück unseres Mobilseins in Baden-Württemberg, mit dem sich die Menschen identifizieren können.
Erarbeitungs- und Beteiligungsprozess der ÖPNV-Strategie 2030
In drei Phasen hat das Ministerium für Verkehr gemeinsam mit den ÖPNV-Akteurinnen und Akteuren im Land die ÖPNV-Strategie 2030 erarbeitet.
Von Juli bis Dezember 2020 formulierte die ÖPNV-Zukunftskommission aus 20 Vertreterinnen und Vertretern von Land, Stadt- und Landkreisen, Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbünden, Fahrgastbeirat, Gewerkschaften und Wissenschaft konkrete Teilziele sowie weitreichende Empfehlungen in zehn relevanten ÖPNV-Handlungsfeldern.
Dabei entstanden im Konsens insgesamt 130 konkrete Maßnahmen, die den ÖPNV in Baden-Württemberg bis 2030 wesentlich stärken sollen. Darüber hinaus wurde eine breite Online-Beteiligung zu den Maßnahmenempfehlungen der ÖPNV-Zukunftskommission durchgeführt. Die Ergebnisse der Zukunftskommission und der Online-Beteiligung bildeten das Rückgrat für die weitere Ausarbeitung der ÖPNV-Strategie 2030.
Nach der Verabschiedung des Strategieentwurfs am 12. Oktober 2021 durch das Kabinett schloss sich bis November 2021 ein intensiver schriftlicher Anhörungsprozess an. Dieser startete mit Informationsveranstaltungen auf Ebene der vier Regierungsbezirke Baden-Württembergs. 68 Institutionen und Organisationen reichten konstruktive Stellungnahmen ein. Über 90 konkrete Hinweise wurden in die Strategie übernommen. Viele weitere Anmerkungen lieferten wertvolle Anhaltspunkte für die unmittelbar folgende Umsetzung der Maßnahmen und werden im nun startenden Dialogprozess aufgegriffen.
Am 6. Juli 2022 wird die Auftaktveranstaltung zur Umsetzung der ÖPNV-Strategie 2030 stattfinden. Anschließend starten die Vor-Ort-Termine auf Ebene der Stadt- und Landkreise, bei denen gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort diskutiert werden soll, welche Maßnahmen bereits vorgesehen sind und wie die weitere Umsetzung der ÖPNV-Strategie vor Ort angegangen werden kann.
Um die vielschichtigen und räumlich variierenden Umsetzungsprozesse bis zum Zieljahr 2030 zu begleiten, Anreize und Vernetzungsbedarf zu ermöglichen, richtet das Land unter anderem ein Begleitgremium zur Umsetzung der ÖPNV-Strategie 2030 ein. Überdies bauen wir eine Informations- und Wissensplattform „Zukunftsnetzwerk ÖPNV“ auf.