Die Idee, den Kopfbahnhof der Landeshauptstadt Stuttgart in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu verwandeln, stammt aus den 1980er Jahren. Nach jahrelangen Vorüberlegungen fiel mit der Rahmenvereinbarung 1995 die Grundsatzentscheidung zur Realisierung:
- An der Stelle des heutigen Bahnhofs im Stuttgarter Stadtzentrum soll ein unterirdischer und um 90 Grad gedrehter Durchgangsbahnhof entstehen.
- Der heutige Abstellbahnhof soll nach Untertürkheim verlagert werden.
- Ein Großteil der Bahnstrecken soll unter die Erde verlegt oder neu gebaut werden.
- Das denkmalgeschützte, von den Architekten Peter Bonatz und Friedrich Eugen Scholer erbaute Bahnhofsgebäude soll im Kern erhalten bleiben.
- Die frei werdenden Gleisflächen auf dem Gelände hinter dem Kopfbahnhof sollen für die Entwicklung eines neuen zentrumsnahen Stadtviertels genutzt werden.
- Auch der Schlossgarten soll durch den Neubau umgestaltet werden. Ein Teil der frei werdenden Gleisflächen soll für die Erweiterung des Parks genutzt werden.
- Durch den Neubau der Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm sollen die Reisezeiten verkürzt und andere Regionen im Land besser an den Fernverkehr angebunden werden.
Fragen und Antworten zur Leistungsfähigkeit des geplanten und heutigen Bahnknotens Stuttgart
Die FAQ beantworten die wichtigsten Fragen rund um Zugzahlen, Leistungsfähigkeit und der Bemessungsgrundlage von Stuttgart 21.
Die Anzahl von Zügen oder Gleisbelegungen pro Stunde sind weder in den Planfeststellungsunterlagen noch im Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 ausdrücklich geregelt. Stattdessen verweisen diese Unterlagen hinsichtlich der eisenbahnverkehrlichen Anforderungen auf die der Planung zu Grunde liegende nachfrageorientierte Prognose. Diese wird als Betriebsszenario 2003 bezeichnet. Planfeststellungsunterlagen und Finanzierungsvertrag enthalten konkrete Zugzahlen des Betriebsszenarios je Tag und Richtung. Nach dem Finanzierungsvertrag ist damit die Deutsche Bahn verpflichtet, eine Infrastruktur zu bauen, auf der zumindest diese Zugzahlen gefahren werden können.
Die vertraglich fixierten täglichen Zugzahlen wurden seinerzeit durch die Planung von vertakteten Linien ermittelt. Vertaktete Züge fahren in einem festen, leicht merkbaren, zeitlichen Rhythmus (z.B. einmal pro Stunde zur immer gleichen Zeit). Diese Angebotsplanungen sahen vor, dass im Tiefbahnhof Stuttgart in den Hauptverkehrszeiten 30 Züge je Stunde abzufertigen sind. Das ist gegenüber dem Angebot von 2001 eine Erhöhung um ca. 50 Prozent. Die Zahl von 30 Zügen bezieht sich auf Verbindungen in Richtung und Gegenrichtung. Verstärkerzüge, die etwa zu Spitzenzeiten außerhalb des regulären Taktes zusätzlich Reisende nach Stuttgart bringen, aber nicht zurückfahren, werden dabei nicht mitgezählt.
Der Kopfbahnhof wickelt heute in den Hauptverkehrszeiten 21 Taktzüge ab (21 Ankünfte, 21 Abfahrten). Auch diese Zahl enthält nicht die Züge, die außerhalb des Taktes zusätzlich verkehren.
Diese Frage ist strittig: Gutachter, die an der Planfeststellung von Stuttgart 21 und an den Klagen vor dem Verwaltungsgerichtshof gegen diese beteiligt waren, haben angenommen, dass Stuttgart 21 über die im Betriebsprogramm aufgeführten 30 Züge pro Stunde hinaus weitere erhebliche Kapazitätsreserven habe. Kritiker von Stuttgart 21 haben diese Gutachten in Zweifel gezogen.
In dieser Situation wurde im Rahmen des Faktenchecks der so genannte Stresstest vereinbart. Er sollte prüfen, ob in der Spitzenstunde 30 Prozent mehr Züge verkehren können als im Fahrplan 2010 (also künftig 49 Zugankünfte/Stunde). Auf den Stresstest, der über die vertakteten Züge hinaus erstmals auch die Zusatzzüge einbezieht, haben sich die Beteiligten der Schlichtung zu Stuttgart 21 geeinigt. Die DB hat als Ergebnis des Stresstests eine Betriebssimulation vorgelegt, nach der ein Fahrplan mit diesen Zugzahlen mit so genannter „wirtschaftlich optimaler Betriebsqualität" fahrbar ist. Dieses Ergebnis wurde von der schweizerischen Firma SMA, auf die sich die Parteien der Faktenschlichtung geeinigt hatten, bestätigt. Kritiker von Stuttgart 21 haben auch gegen das Ergebnis des Stresstests zahlreiche Einwände erhoben.
Die Landesregierung hat das Ergebnis des Stresstests in quantitativer Hinsicht akzeptiert. In qualitativer Hinsicht wurde in der Schlichtung eine „gute" Betriebsqualität vereinbart. Die von der DB festgestellte „wirtschaftlich optimale" Betriebsqualität lässt - entsprechend dem DB-Regelwerk - einen Verspätungsaufbau in geringerem Umfang noch zu, während bei der Betriebsqualität „Premium" ein deutlicher Verspätungsabbau verlangt wird. SMA hat der DB die Einhaltung ihres Regelwerks bestätigt, aber klargestellt, dass die Bewertung deutscher Normen nicht Aufgabe ihres Audits ist. In der Bewertung, ob es sich bei dem vorgelegten Ergebnis um eine „gute" Betriebsqualität im Sinne des Schlichterspruchs handelt, hatten die Koalitionspartner unterschiedliche Einschätzungen.
Der Kopfbahnhof leistet heute in der Spitzenstunde von 7 bis 8 Uhr morgens 35 Ankünfte und 18 Abfahrten. Die Meinungen gehen auseinander, was er darüber hinaus leisten kann. Die DB hat behauptet, dass über die Zahl von 35 Ankünften hinaus lediglich zwei weitere Züge fahrbar seien. Dem steht eine Untersuchung des Ingenieur-Büros Vieregg-Rössler gegenüber, nach der der Kopfbahnhof eine Leistungsfähigkeit von 56 Ankünften habe - allerdings nach Umsetzung verschiedener Ergänzungen in der Infrastruktur. Die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW), die den Nahverkehr in Baden-Württemberg plant, kam nach Überprüfung dieser Studie zu dem Ergebnis, dass im Kopfbahnhof mit entsprechenden Ergänzungen der Infrastruktur eine Führung von insgesamt 50 Zügen grundsätzlich möglich erscheint. Allerdings wäre für eine belastbare Aussage eine Prüfung durch die DB Netz AG unerlässlich - diese Bahntochter betreibt die Infrastruktur. Die DB Netz AG hat eine vertiefte Untersuchung in Form einer Infrastrukturplanung, Fahrplankonstruktion und Durchführung einer Betriebssimulation für den Kopfbahnhof („K 20") aber abgelehnt.
Hinsichtlich der theoretischen Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht (Zugzahlen) kommen die verschiedenen Untersuchungen zu ähnlichen Ergebnissen. Allerdings sind sie methodisch nicht vergleichbar. Nach eingehender Prüfung lässt sich somit auf Basis der vorhandenen Informationen die Aussage, bei Stuttgart 21 handele es sich um einen geplanten Rückbau von Eisenbahninfrastruktur hinsichtlich der gemäß Stresstest theoretisch bewältigbaren Zugzahlen nicht bestätigen.
Damit sind allerdings Aspekte eines erweiterten Leistungsfähigkeitsbegriffs wie Flexibilität im Störungsfall, Eignung für einen integralen Taktfahrplan oder Eignung für spätere zusätzliche Erweiterungen nicht betrachtet. Diese Fragen bleiben in dem rein quantitativen Vergleich offen
Genehmigungsbehörde für den Bahnhof Stuttgart ist das Eisenbahnbundesamt. Das Eisenbahnbundesamt entscheidet auch im Rahmen des Stilllegungsverfahrens nach § 11 AEG gegebenenfalls darüber, ob eine „mehr als geringfügige Verringerung der Kapazität einer Strecke" vorliegt. Der Planfeststellungsbeschluss zum Umbau des Bahnhofes ist seit langem bestandskräftig. Es liegt eine rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim dazu vor. Im gerichtlichen Verfahren hat die Frage der Leistungsfähigkeit eine wesentliche Rolle gespielt. Die Regierung hat die Entscheidung der Gerichte zu respektieren. Zudem ist die jetzige Landesregierung an den Finanzierungsvertrag gebunden, den die schwarz-gelbe Vorgängerregierung abgeschlossen hat.
Hintergrundpapier des VM
Ein ausführliches Dossier des Ministeriums für Verkehr (PDF, nicht barrierefrei) möchte aus Sicht des Ministeriums die Debatte um Zugzahlen, Leistungsfähigkeit und Bemessungsgrundlage von Stuttgart 21 sowie die vorgetragenen Argumente beleuchten, sich mit ihnen auseinandersetzen und einige Erläuterungen geben.
Gutachten „Doppelte Gleisbelegung im Gefällebahnhof Stuttgart Hbf (Projekt Stuttgart 21)“
Das Ministerium für Verkehr hat 2011 im Zusammenhang mit den Diskussionen um den Stresstest bei der TU Dresden ein Gutachten über die Realisierbarkeit der doppelten Gleisbelegung im längsgeneigten Tiefbahnhof beim Bahnprojekt Stuttgart 21 in Auftrag gegeben. Diese Realisierbarkeit wurde damals in der öffentlichen Diskussion in Frage gestellt. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Entwurfsplanung das gültige Regelwerk 819 der DB AG beachtet wurde, und die doppelte Gleisbelegung möglich ist, auch wenn das Gutachten klarstellt, dass diese Feststellung final erst durch die spätere Planprüfung durch das Eisenbahn-Bundesamt erfolgt. Fragen zu Unfallrisiken im längsgeneigten Tiefbahnhof waren nicht Gegenstand des Gutachtens. Über das Gutachten und das Ergebnis wurde dem Landtag im Jahr 2012 berichtet.