Die Panoramabahn könnte wegen Stuttgart 21 für immer stillgelegt werden. Das Land möchte die Bahnstrecke erhalten. Als kurzfristige Lösung kommt ein neuer Halt am Nordbahnhof in Frage. Das sagen Gutachter zum Potenzial der Strecke und den möglichen Kosten.
Der innerstädtische Streckenabschnitt der Gäubahn von Stuttgart Hauptbahnhof bis Stuttgart-Vaihingen mit einer Länge circac 15,6 Kilometern wird wegen des Ausblicks auf die Stadt Stuttgart auch „Panoramabahn“ genannt. In Stuttgart führt die Gäubahn vom Hauptbahnhof zunächst nach Nordwesten. Kurz vor der Betriebsstelle Stuttgart-Nord schwenkt sie in einem Linksbogen an den westlichen Talhang in Richtung Süden. Die Trasse gewinnt dabei bis Stuttgart-Vaihingen knapp 200 Höhenmeter.
Unterbrechung der Panoramabahn wegen Stuttgart 21
Im Rahmen der Bauarbeiten zu Stuttgart 21 muss zur Ermöglichung des Anschlusses der S-Bahn-Strecke von Stuttgart-Nord an die neue Station Mittnachtstraße die Gäubahn-Strecke unterbrochen werden, denn für die Anbindung dieser neuen S‐Bahn‐Haltestelle in Richtung Nordbahnhof ist im Stuttgarter Norden der Rückbau eines Bahndamms inklusive Gleisanlagen erforderlich. Daher wird die Gäubahnzuführung zum heutigen Hauptbahnhof über die Panoramabahn unterbrochen. Die Züge der Gäubahn können den Stuttgarter Hauptbahnhof dann nicht mehr erreichen. Die Deutsche Bahn plant, ab diesem Zeitpunkt alle Züge der Gäubahn am Bahnhof Stuttgart‐Vaihingen enden zu lassen bis die Streckenführung über den Flughafen und den Fildertunnel fertiggestellt ist.
Panoramabahn soll erhalten werden
Der Planfeststellungsbeschluss (PFA 1.5) prognostizierte eine Unterbrechung von maximal sechs Monaten unmittelbar vor der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 und sieht keine Wiederherstellung der Gäubahn-Anbindung vor, da nach dem Stuttgart 21-Konzept die Panoramastrecke mit Inbetriebnahme von Stuttgart 21 funktionslos wird und stillgelegt werden soll.
Allerdings schlug bereits der mit der Schlichtung des Projekts Stuttgart 21 betraute Heiner Geißler in seinem Schlichterspruch am 30. November 2010 den Erhalt der Gäubahn vor. Weiterhin besagt der 2009 beschlossene Regionalplan der Region Stuttgart, „im Zuge des bzw. nach Realisierung des Projekts Stuttgart 21 [solle] zugunsten des regionalen Schienenverkehrs (…), die Gäubahntrasse zwischen Stuttgart-Nord und Stuttgart-Vaihingen in betriebsfähigem Zustand erhalten“ werden.
Nordhalt als kurzfristige Lösung
Um nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 Fahrgästen der Gäubahn weiterhin unterbrechungsfrei einen Eisenbahnverkehr nach Stuttgart zu ermöglichen, soll die Panoramabahn kurzfristig bis zu einem Interimshalt „Nordhalt“ im Bereich des heutigen Nordbahnhofs erhalten werden.
Das Verkehrsministerium hat dazu zusammen mit dem Verband Region Stuttgart und der Landeshauptstadt Stuttgart Planungen für den Nordhalt an der Panoramabahn aufgenommen. Die Züge der Gäubahn könnten dann weiter bis zu diesem Halt geführt werden und die Stuttgarter Innenstadt erreichen. Durch seine unmittelbare Nähe zur S‐Bahn‐Haltestelle „Nordbahnhof“ und der Stadtbahnhaltestelle „Löwentorbrücke“ bietet der Nordhalt attraktive Umsteigemöglichkeiten im Stuttgarter Stadtzentrum.
Das Verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart (VWI) hat 2020 im Auftrag der SSB AG die verkehrlichen Wirkungen dieses neuen Haltepunkts untersucht. Die bereits geplanten Umsteigemöglichkeiten am zukünftigen Regionalbahnhof Vaihingen könnten durch diesen neuen Haltepunkt sehr gut ergänzt werden. Vorteile würden sich insbesondere für Reisende mit Zielen im Stuttgarter Norden und im Zentrum ergeben. Der neue Haltepunkt wäre auch eine Entlastung für die Umsteigesituation in S‐Vaihingen. Im Fall einer Sperrung der S‐Bahn‐Stammstrecke könnte der neue Nordhalt darüber hinaus dazu beitragen das Stuttgarter ÖPNV‐Netz durch eine bessere Verteilung der Fahrgäste im Störungsfall deutlich zu entlasten.
Planungen für den langfristigen Erhalt
Um nachzuweisen, dass ein Erhalt der Panoramabahn auch langfristig sinnvoll ist, hat das Verkehrsministerium beim VWI Stuttgart eine Untersuchung der verkehrlichen Potenziale beauftragt. Das Ergebnis des VWI lässt keine Zweifel: Die Panoramabahn bietet mit einer leistungsstarken Anbindung auch langfristige Vorteile und Möglichkeiten als Ergänzung zum neuen Eisenbahnknoten Stuttgart. Sie dauerhaft zu erhalten ist überaus sinnvoll. Im Sinne der Verkehrswende, von Angebotsausweitungen und einer notwendigen Redundanz wäre es ein Riesenfehler, die Panoramabahn nicht weiter zu nutzen. Sie muss auch leistungsfähig angebunden werden.
- Erschließungswirkungen: Wie können zusätzliche Fahrgäste entlang der Panoramabahn für den SPNV gewonnen werden? Dafür wurden verschiedene Haltemuster mit zwei bis neun Haltestellen zwischen Stuttgart-Vaihingen und Stuttgart-Feuerbach bzw. Stuttgart-Bad Cannstatt miteinander verglichen.
- Durchbindungswirkungen: In welcher Form können Ziele innerhalb der Region aber auch darüber hinaus über die Panoramabahn neu miteinander verbunden werden? Dafür wurden verschiedene Linien südlich von Stuttgart-Vaihingen (z.B. nach Horb oder Tübingen) und nördlich von Stuttgart-Feuerbach bzw. Stuttgart-Bad Cannstatt (z.B. nach Lauffen am Neckar oder Winnenden) untersucht.
Untersuchung: Hohes Nachfragepotenzial für Panoramabahn
- Der Betrieb auf der Panoramabahn zeigt eine sehr hohe Nachfrage. Alle untersuchten Varianten haben gute bis sehr gute verkehrliche Wirkungen.
- Die verschiedenen Durchbindungen zeigen also sehr gute Effekte. Noch entscheidender ist die Erschließung der dicht besiedelten Stuttgarter Gebiete entlang der Panoramabahn durch zusätzliche Haltestellen.
- Mit einem 30-Minuten-Takt können ca. 10.000 Fahrgäste am Tag auf der Panoramabahn erwartet werden, bei einem 15-Minuten-Takt sogar ca. 20.000 Fahrgäste pro Tag.
- Die Panoramabahn entlastet S-Bahn-Stammstrecke leicht. Der Großteil der verkehrlichen Wirkungen ergibt sich dadurch, dass viele neue Fahrgäste für den ÖPNV gewonnen werden.
- Die Panoramabahn ist damit als Ergänzung und nicht als Alternative für andere Infrastrukturvorhaben im Knoten Stuttgart zu betrachten.
- Die hohe Verkehrsnachfrage lässt erwarten, dass in einer Standardisierten Bewertung genügend Nutzen nachgewiesen werden kann, um die Kosten für anfallende Infrastrukturinvestitionen auszugleichen.“
Wie der langfristige Erhalt der Panoramabahn aussehen soll, ist noch nicht entschieden. In der Diskussion befinden sich aktuell verschiedene Möglichkeiten einer langfristigen Anbindung der Panoramabahn. Möglich sind beispielsweise eine Anbindung an den Bahnhof Stuttgart-Feuerbach, eine vollständige Realisierung eines Nordkreuzes oder ein Anschluss an eine unterirdische Nahverkehrs-Ergänzungsstation.
Kosten für Sanierung der Panoramabahn
Damit die langfristigen verkehrlichen Potenziale der Panoramabahn erreicht werden können, muss die Panoramabahn kurzfristig bis zum Nordhalt erhalten werden. Welche Sanierungskosten in den kommenden Jahren anfallen, hat das Land deshalb bei der DB Netz AG als Betreiberin der Strecke ermitteln lassen:
Kurzfristig bis 2032 fallen rund 45 Millionen Euro an, vor allem für eine Erneuerung des Oberbaus. Erst langfristig bis in die 30er und 40er Jahre hinein fallen höhere Kosten an, und zwar vor allem durch eine Sanierung der Tunnel. Die Kosten hierfür werden auf rund 120 Millionen Euro geschätzt.
Eine Sanierung der Panoramabahn kann aus dem Bundes-GVFG gefördert werden (Fördertatbestand „Grunderneuerung“ § 2 Abs. 3 Nr. 2 GVFG). Die Förderung des Bundes erfolgt mit einem Fördersatz von bis zu 50 Prozent der zuwendungsfähigen Baukosten. Die Sanierungskosten für den zukünftigen Betrieb der Panoramabahn sind daher deutlich niedriger als die hier ermittelten Gesamtkosten und verteilen sich auf einen sehr langen Zeitraum. Eine Nutzen-Kosten-Untersuchung bei diesem Fördertatbestand ist nicht notwendig, weshalb eine Anmeldung beim Bund schnell erfolgen kann.
Die laufenden Instandhaltungskosten liegen nach der Untersuchung in der Größenordnung von 1 Million Euro pro Jahr. Bei Bestellung von regelmäßigem Verkehr in dem von der Potenzialuntersuchung bewerteten Umfang können die Trassenerlöse ausreichen, die laufenden Kosten zu decken.
Downloads
Präsentation: Gutachten zu Kosten eines Weiterbetriebs der Panoramabahn (PDF)
Abschlussbericht: Gutachten zu Kosten eines Weiterbetriebs der Panoramabahn (PDF)
Abschlussbericht Ergänzung: Ergänzungen zum Abschlussbericht der DB E&C vom 09.09.2021 (PDF)
Anlage 1: Signalübersichtsplan Variante 2 - zweigleisig (PDF)
Anlage 2: Signalübersichtsplan Variante 1 - eingleisig (PDF)
Anlage 3.1: Grobkostenschätzung Instandhaltungsbedarf für die Panoramabahn - Variante 1 (PDF)
Anlage 3.2: Grobkostenschätzung Instandhaltungsbedarf für die Panoramabahn - Variante 2 (PDF)
Anlage 4.1: Grobkostenschätzung Investitionsbedarf für die Panoramabahn - Variante 1 (PDF)
Anlage 4.2: Grobkostenschätzung Investitionsbedarf für die Panoramabahn - Variante 2 (PDF)
Anlage 5: Analyse der Bestandsbauwerke (Brücken) (PDF)
Anlage 6: Analyse der Bestandsbauwerke (Durchlässe) (PDF)
Anlage 7: Analyse der Bestandsbauwerke (Stützbauwerke) (PDF)