„Zwischen 2010 und 2019 nahm die Belastung durch Stickstoffdioxid im städtischen Umfeld in Baden-Württemberg um fast ein Fünftel ab, bei dem gesundheitlich besonders bedeutenden Feinstaub PM2,5 sogar um ein Drittel. Auch 2020 hat sich diese positive Entwicklung fortgesetzt und durch den Corona-Verkehrsrückgang noch beschleunigt.
Im Jahr 2020 wurden die Grenzwerte für Feinstaub PM10 das dritte Jahr in Folge flächendeckend, d. h. auch an der Messstation Stuttgart Am Neckartor, eingehalten. Damit wurde auch die Belastung durch den gesundheitlich besonders bedeutenden Feinstaub PM2,5 deutlich gesenkt. Auch die Konzentrationen von Stickstoffdioxid (NO2) haben überall in Baden-Württemberg seit 2015 stark abgenommen. Im Jahr 2020 wurde der Grenzwert für Stickstoffdioxid im Jahresmittel nur noch an wenigen Straßenabschnitten von insgesamt etwa 800 Metern Länge in Stuttgart und Ludwigsburg überschritten. Im Jahr 2016 wurde dieser Grenzwert noch in 27 Städten in Baden-Württemberg überschritten. 2019 waren es nur noch vier Städte, in Stuttgart allerdings mit deutlicher Grenzwertüberschreitung. Zwischen 2015 und 2019 sanken die Messwerte an Straßen in Baden-Württemberg um 15 µg/m³, in den anderen Bundesländern dagegen nur um 8 µg/m³. Die Schadstoffwerte in Baden-Württemberg haben also etwa doppelt so schnell abgenommen wie im Bundesvergleich.
Um diese Verbesserungen der Luftqualität zu erreichen, wurden gemeinsam mit den betroffenen Kommunen örtlich angepasste Maßnahmenpakete umgesetzt.
Maßnahmen, die in Baden-Württemberg Wirkung zeigen sind u. a.:
- Ausbau des Fuß- und Radverkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs,
- Umwidmung von Verkehrsflächen bspw. in Form von Bus- oder Radspuren,
- Maßnahmen zur Verkehrslenkung und Verkehrsverstetigung, bspw. intelligente Verkehrssteuerungen und Zuflussdosierungen,
- Geschwindigkeitsbegrenzungen sowohl innerorts auf den von Luftbelastungen betroffenen Strecken auf Tempo 40 als auch im Zulauf auf die betroffenen Streckenabschnitte und auf Ausweichstrecken,
- Filtersäulen zur Stickstoffdioxid-Filterung an besonderen Belastungsschwerpunkten,
- grüne Umweltzonen,
- Verkehrsverbote für Diesel-Fahrzeuge Euro 4/IV und 5/V sind nur in Stuttgart notwendig.
Dieses Maßnahmenbündel hat zur beschleunigten Erneuerung des Fahrzeugbestands in Stuttgart beigetragen, wie der Vergleich mit anderen Großstädten zeigt.
Der Trend weg von alten Dieselfahrzeugen und die Corona-Effekte haben ebenfalls geholfen. Die starken Rückgänge der Luftschadstoffe sind etwa zur Hälfte auf diese Maßnahmen und zur anderen Hälfte auf bundesweite Trends zurückzuführen.
Auswirkungen der Verbesserungen der Luftqualität auf die Gesundheit
Prof. Dr. Dr. Wichmann, Direktor i. R. des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum in München hat die Auswirkungen der Verbesserungen der Luftqualität auf die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg untersucht.
Prof. Wichmann kommt zu dem Ergebnis, dass die Abnahme der Luftschadstoffbelastungen in Baden-Württemberg ist ein großer Erfolg für den Gesundheitsschutz. In seiner Untersuchung hat er die positiven Auswirkungen der Abnahme der Luftverschmutzung auf die Gesundheit der städtischen Bevölkerung in Baden-Württemberg näher betrachtet. Untersucht wurden die Schadstoffe Feinstaub PM2,5, also besonders kleine Staubpartikel, und Stickstoffdioxid (NO2) für die Jahre 2010 bis 2020. Wenn Menschen über viele Jahre hohen Luftbelastungen ausgesetzt sind, können diese in Zusammenwirkung mit vielen anderen Gesundheitsfaktoren zu Erkrankungen der Atemwege, Herz-Kreislauf-Krankheiten und letztlich zu einem früheren Tod führen. Die Untersuchung zeigte, dass die deutliche Abnahme der Schadstoffkonzentrationen zu einem entsprechend deutlichen Rückgang der luftschadstoffbedingten Sterblichkeit geführt hat. Demnach haben wir bei der städtischen Bevölkerung in Baden-Württemberg im betrachteten Zeitraum statistisch einen Gewinn von mehr als 10.000 Lebensjahren und einen Rückgang der vorzeitigen Todesfälle um mehr als 1.000.
Prof. Wichmann hat außerdem mögliche ungünstige Einflüsse von Luftschadstoffen auf das Krankheitsgeschehen in der COVID-19 Pandemie untersucht. Insgesamt kommt er zu dem Ergebnis, dass eine spezifische, eigenständige Rolle der Luftschadstoffe bei COVID-19 nicht nachweisbar ist – also keine höheren Infektionszahlen oder schwerere Krankheitsverläufe aufgrund von erhöhten Luftschadstoffkonzentrationen nachweisbar sind.
Die bekannten Gesundheitsrisiken von Luftschadstoffen, insbesondere PM2,5 für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen, vor allem für Ältere, können jedoch durchaus auch COVID-19 Patienten betreffen, deren Risiken für schwere Verläufe oder das Versterben ja ebenfalls stark mit dem Alter zunehmen.
Aufgrund dieser Situation erscheint es gemäß Prof. Wichmann sinnvoll und erforderlich, die Luftschadstoffkonzentrationen unabhängig von COVID-19 mit Nachdruck weiter zu reduzieren, zumal wissenschaftliche Erkenntnisse immer deutlicher zeigen, dass die derzeit in Europa gültigen Grenzwerte keinen ausreichenden Gesundheitsschutz gewährleisten.