In Baden-Württemberg erstrecken sich entlang von Autobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen ca. 27.000 ha Gras- und Gehölzflächen. Neben den für die Verkehrssicherheit relevanten Straßenbegleitflächen besteht der Großteil aus extensiven Flächen, die keiner produktionsorientierten Nutzung unterliegen. Sie sind über das gesamte Land verteilt und stellen damit ein wichtiges ökologisches Potenzial im Naturhaushalt und der grünen Infrastruktur dar. Durch eine ökologisch orientierte Anlage und Pflege der Flächen können naturschutzfachlich wertvolle Lebensräume entstehen, die hinsichtlich der Vernetzung entlang des Straßennetzes einen bedeutenden Beitrag zum Biotopverbund und damit zur Aufrechterhaltung und Sicherung der biologischen Vielfalt leisten.
Straßenbegleitgrün als Lebensraum und Teil des Biotopverbundsystems
In Zeiten zunehmend intensiver Landnutzung verlieren immer mehr Tier- und Pflanzenarten ihren ursprünglichen Lebensraum. Gleichzeitig werden noch bestehende Lebensräume durch Siedlungsdruck, Infrastrukturmaßnahmen oder intensive Landwirtschaft zerschnitten, was den genetischen Austausch zwischen Populationen einer Art verhindern kann. Bei einer ökologisch orientierten Anlage und Pflege kann Straßenbegleitgrün dabei helfen, diese negativen Auswirkungen abzuschwächen.
So bieten die Gras- und Gehölzflächen entlang von Straßen einer großen Anzahl von Tier- und Pflanzenarten einen Rückzugs- und Lebensraum. Besonders hoch ist die Artenvielfalt in der extensiv gepflegten Böschungszone. Dort finden blütenbesuchende Insekten wie Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten ein breites Nahrungsangebot und Rückzugsorte vor. Außerdem können Vögel wie die Heckenbraunelle oder die Dorngrasmücke in den Bäumen, Sträuchern und Gebüschen entlang von Straßen brüten und ihre Jungen aufziehen. Weiterhin können auch Kleinsäuger wie die Haselmaus vorkommen, die im Straßenbegleitgrün teils günstigere Bedingungen vorfinden als in der Normallandschaft.
Genau wie Grünbrücken oder andere Tierquerungshilfen können auch die Gras- und Gehölzflächen entlang von Straßen dabei helfen, zerschnittene Lebensräume wieder miteinander zu vernetzen und somit eine wichtige Funktion im Biotopverbund erfüllen. Besonders Gehölzstreifen und Hecken spielen als Ausbreitungskorridore dabei eine große Rolle. So orientieren sich einige Tierarten wie Fledermäuse, Kleinsäuger oder Vögel an diesen Landschaftselementen und erschließen sich so neue Lebensräume oder besiedeln ehemalige wieder.
Ökologisch orientierte Pflege von Straßenbegleitgrün
Mit dem Ziel, die Artenvielfalt entlang von Straßen zu erhöhen und die Funktionen des Straßenbegleitgrüns für den Naturschutz zu erhalten und zu fördern, hat das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg im Jahr 2016 das Hinweispapier „Straßenbegleitgrün - Hinweise zur ökologisch orientierten Pflege von Gras- und Gehölzflächen an Straßen“ eingeführt.
Das Hinweispapier gibt allen mit der Durchführung und Planung der Pflege von Straßenbegleitgrün Beschäftigten praxisnahe Handlungsempfehlungen, die dabei helfen, die ökologisch orientierte Pflege des Straßenbegleitgrüns weiter zu optimieren. Darüber hinaus werden die Bedeutung und das Potential der straßenbegleitenden Gras- und Gehölzflächen für den Naturschutz aufgezeigt. Seit Oktober 2019 müssen die wesentlichen Bestandteile des Hinweispapieres, insbesondere die abschnittsweise Pflege, in der Straßenbauverwaltung verbindlich umgesetzt werden.
In Ergänzung zu dem Hinweispapier hat das Ministerium für Verkehr die Handreichung „Pflege von Grasflächen an Straßen“ erarbeitet. Die Handreichung stellt die im Hinweispapier beschriebenen ökologisch orientierten Pflegemaßnahmen von Grasflächen an Straßen in komprimierter Form anhand praktischer Beispiele und mithilfe von Bildern und Illustrationen dar. Zudem werden Pflegezeiträume und Pflegehäufigkeiten typischer Pflanzengesellschaften im Extensivbereich genannt, an denen die Pflege ausgerichtet werden sollte.
Die Artenvielfalt im Straßenbegleitgrün wird maßgeblich durch die Pflege beeinflusst. Dementsprechend bestimmen die Straßenmeistereien und Bauhöfe im Rahmen der Grünpflege, wie sich die straßenbegleitenden Grünflächen entwickeln und welche Pflanzen- und Tierarten dort vorkommen können. Aus diesem Grund ist die ökologische Pflege des Straßenbegleitgrüns ein fester Bestandteil der Lehrpläne der Straßenwärter- und Straßenmeisterausbildung sowie der Fortbildungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Straßenbetriebsdienstes. Ziel ist es, das Bewusstsein für die Bedeutung des Straßenbegleitgrün und dessen ökologische Pflege weiter zu verstärken.
Weitere Möglichkeiten zur Erhöhung der Artenvielfalt im Straßenbegleitgrün
Neben einer ökologisch orientierten Pflege des Straßenbegleitgrüns gibt es weitere Möglichkeiten, wie die Strukturvielfalt und damit die Artenvielfalt entlang von Straßen gefördert werden kann. Einige dieser Maßnahmen – wie etwa die Ansaat von Blühmischungen oder die Anlage von Kleinstrukturen – werden in der vom Ministerium für Verkehr erarbeiteten Broschüre „Möglichkeiten zur Erhöhung der Artenvielfalt im Straßenbegleitgrün außerhalb der Regelpflege“ vorgestellt.
Über die Regelpflege hinausgehende Maßnahmen wie das Mähen und Abräumen straßenbegleitender Flächen oder die Verwendung von insektenfreundlichen Saatgutmischungen zur Aufwertung von Rastplätzen und Kreisverkehren werden im Rahmen des Sonderprogrammes zur Stärkung der biologischen Vielfalt umgesetzt.